Hatte Eysenck Recht?

Eine Re-Evaluation der Effekte von Psychotherapie

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Vor 65 Jahren erregte der deutsch-britische Psychologe Hans-Jürgen Eysenck (1916-1997) großes Aufsehen mit einem Aufsatz, in dem er die Wirksamkeit von Psychotherapie als solcher in Frage stellte. Patienten, so Eysenck, gehe es auch ohne Behandlung oftmals nach einiger Zeit wieder besser - der Psychotherapie wird also eine heilende Wirkung zugeschrieben, die gar nicht durch diese verursacht wird. Kurzum: Psychotherapie sei wirkungslos, verhindere sogar in manchen Fällen eine Verbesserung.

 

Psychotherapie gilt allgemein als wirksames Verfahren

Durch die Entwicklung der randomisiert-kontrollierten Studie, in der therapierte Patienten mit einer unbehandelten Kontrollgruppe verglichen werden, sowie durch die Meta-Analyse, in der viele Studien mathematisch zusammengefasst betrachtet werden, wurde versucht, diesem Vorwurf Eysencks nachzugehen. Seither stellte sich auf Basis dieser Ergebnisse in der Psychotherapieforschung die gefühlte Sicherheit ein, dass Psychotherapie im Gegensatz zu Eysencks Vorwurf tatsächlich wirksam ist, da ein sehr hoher Rückgang beispielsweise depressiver Symptome in den behandelten im Vergleich zu unbehandelten Gruppen gefunden wurde.

 

Ist Eysencks Einschätzung vielleicht doch richtig?

Ein Paper von Cuijpers, Karyotaki, Reijnders und Ebert (2018) dämpft diesen Enthusiasmus über meta-analytische Befunde zur Wirksamkeit von Psychotherapie bei Depression und geht auf die Frage ein, ob Eysenck doch Recht gehabt haben könnte. Die Autoren gehen insbesondere darauf ein, dass ein Großteil der Studien zur Wirksamkeit von Psychotherapie bei Depression durch so genannten Bias, also systematische Fehler oder Beeinflussungen bei der Untersuchung in randomisiert-kontrollierten Studien belastet sind, die die Wirksamkeit von Psychotherapie in einem weit besseren Licht erscheinen lassen, als dies eigentlich der Fall ist.

Bias kann durch vielerlei Faktoren entstehen. Wenn neue Medikamente entwickelt und beurteilt werden, werden diese meistens mit einem Placebo verglichen: Patienten wissen also nicht, ob ihnen eine Pille mit oder ohne Wirkstoff verschrieben wird. Oftmals findet man hierbei auch einen Placebo-Effekt: alleine dadurch, dass Patienten glauben ein vermeintlich wirksames Medikament einzunehmen, verbessern sich ihre Symptome, selbst wenn es sich um eine wirkungslose Zuckerpille handelt.

Dieser Placebo-Effekt ist auch von besonderer Bedeutung für die Psychotherapieforschung: Patienten wissen nämlich in Psychotherapiestudien ganz genau, ob sie die untersuchte therapeutische Behandlung erhalten, oder sich in der Kontrollbedingung befinden. Da Patienten in der Behandlungsbedingung die eine wirksame Behandlung erwarten, könnten sich allein durch diesen Placebo-Effekt ihre Symptome verbessern, ohne das die Behandlung als solche daran einen großen Anteil hat. Patienten in der Kontrollgruppe wissen hingegen, dass von ihnen keine wirkliche Verbesserung erwartet wird, was sich negativ auf die Verbesserung der Symptomatik auswirkt, da diese Patienten oftmals ihr Verhalten nicht verändern, bis sie nach der Studie selbst die Behandlung bekommen. Dies ist nur einer von vielen Arten von Bias, die dazu führen, dass Psychotherapie eine viel höhere Wirksamkeit zugeschrieben wird, als dies eigentlich der Fall ist.

 

Befunde

In der Studie von Cuijpers und Kollegen wurde daher versucht zu analysieren, wie die Wirksamkeit von Psychotherapie bei Depression zurückgeht, wenn auf alle Arten von Bias kontrolliert wird. Es zeigte sich, dass für alle Arten von Psychotherapie die Effektivität stark abnimmt. Die Wirksamkeit von Therapie für Depression wurde also lange Zeit überschätzt. Es zeigte sich aber, das trotz der Kontrolle aller systematischen Fehler Verfahren der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) immer noch signifikante Ergebnisse erbringen, also als wirksam einzustufen sind. Für psychodynamische Verfahren war dies nicht der Fall, obwohl in solchen Studien nicht einmal für alle Bias-Arten kontrolliert werden kann. Für andere Verfahren, wie Interpersonelle Therapie, gab es zu wenig Studien um genaue Aussagen zu machen.

Diese Analyse zeigt, dass Eysencks Verdikt, wenn auch wahrscheinlich falsch für besonders gut empirisch fundierte Verfahren, sehr ernst genommen werden muss. Mehr Genauigkeit und präzisere Forschungsmethoden sind nötig, um die Wirksamkeit von Psychotherapieverfahren wirklich sicherzustellen.

Mathias Harrer, MSc
Mathias Harrer, MSc
Wissenschaftlicher Mitarbeiter